Antworten auf die Sehnsüchte der Gäste

Ernst Spreng im Gespräch mit Dr. Roland Zegg, Interview in der Zeitschrift „Saison“, Tourismusmagazin der Tirol Werbung, September 2016

 

Wie arbeiten Sie mit einer Region, die mit dem Wunsch nach einer neuen Ausrichtung des Angebotes zu grischconsulta kommt?

Roland Zegg: „Es ist eine ganz klassische Vorgehensweise. Wir besichtigen die Region intensiv, führen sehr viele Gespräche mit den Meinungsträgern und werten Gästebefragungen aus. In interaktiven Workshops mit Bergbahnen, Verbänden, Hoteliers oder Skischulen erarbeitet man dann eine Destinationsstrategie bzw. einen Masterplan, der auch Investitionsschritte beinhaltet. Die Ausgangslage ist dabei sehr unterschiedlich. Oft spielt ein Generationswechsel in der Region eine Rolle – ober es gibt eine neue Führungsriege in den Verbänden. Auslöser kann aber auch eine größere Investition sein bzw. eine sichtbare Stagnation in der Region. Dahinter steckt aber immer der Wunsch, sich mittel- und langfristig auf eine Ausrichtung zu konzentrieren. Das heißt: Es braucht einen Fokus, dann eine Strategie und einen Plan, wie man schließlich Teilprojekte umsetzt.“

 

Opinion-Leader spielen hier also eine wichtige Rolle?

Roland Zegg: „Auf alle Fälle. Die müssen die Strategie mittragen. Denn es muss ja auch jemand die Investitionen tragen und für die Zielerreichung gerade stehen.“

 

Sie schauen sich die Region zu Beginn sehr genau an. Ist Authentizität ein wichtiger Punkt, wenn es um das Angebot einer Region geht?

Roland Zegg: „Wichtig ist, dass eine Destination eine klare Positionierung hat. Betrachtet man die großen Destinationen des Alpenraumes, so ist die ursprüngliche Authentizität des Alpenraumes nicht mehr so erkennbar. Große Destinationen haben sich ihre eigene Identität geschaffen und leben diese. Bei kleinen und mittleren Destinationen empfinde ich es als wichtigeren Faktor, die Ursprünglichkeit des Alpenraumes in den Vordergrund zu stellen.“

 

Wie sehen sie die Funktion von Leuchtturmprojekten, um ein neues Angebot in einer Region zu verankern?

Roland Zegg: „Leuchtturmprojekte sind sehr oft ein guter Ausgangspunkt, um eine Destination auf einen Fokus einzustimmen. Bergbahnprojekte, neue Wellness-Angebote, große Events und so weiter dienen oft dazu, die Kräfte einer Region zu bündeln. Das geht meist durch solche Leuchtturmprojekte einfacher und man kann auch einen zeitlichen Rahmen stecken. Bei der Angebotsentwicklung im Alpenraum geht es darum, alle Kräfte einer Region zu bündeln. Und bei unseren kleinstrukturierten Unternehmen muss man sich das oft so vorstellen, dass wir viele Magnetnadeln haben und ein Leuchtturmprojekt hilft dann, diese Nadeln auf einen Punkt auszurichten. Das ist im Alpenraum anders als in den großen Resorts der USA, wo es nur einen oder wenige Besitzer gibt. Im Alpenraum ist die Bündelung aller Kräfte das A und O einer Angebotsentwicklung. Und da haben Leuchtturmprojekte oft einen sehr wichtigen Einfluss darauf, dass dann alle ein gemeinsames Ziel haben und daran arbeiten.“

 

Welche Trends der Gegenwart sind besonders interessant, aus denen neue Angebote für den Alpenraum entstehen könnten?

Roland Zegg: „In der gegenwärtigen Situation der Menschen fallen mir spontan zwei wichtige Dinge ein: Das eine ist Sicherheit, das andere intakte Natur. Damit kann der Alpenraum punkten. Auf dieser Grundlage müssen wir hochwertige Angebote anbieten. In weiterer Folge spielt die demographische Veränderung der Gesellschaft eine wichtige Rolle. Der Anteil der älteren Menschen, die in die Alpen kommen, steigt ständig. Auf der anderen Seite müssen wir uns auf eine anders denkende und agierende Jugend einstellen. Stichworte sind hier: voll digital und online. Ich beobachte aber auch eine große Renaissance des Bergsommers. Bergsommer bedeutet für viele Menschen Sicherheit, unberührte Natur – aber auch höhere Temperaturen in den urbanen Lebensräumen, die uns dann zur Erholung gerne in die Höhe steigen lassen. Das alles sind sicher die zentralen Herausforderungen für den alpinen Tourismus der Gegenwart. Das sind auch seine großen Chancen.“

 

Was macht die Schweiz in Sachen Angebotsentwicklung besonders gut?

Roland Zegg: „Die Schweiz punktet sogar jetzt in den schwierigen Zeiten des schwachen Euros und des starken Schweizer Frankens mit ihren herausragenden Ausflugsdestinationen. Beispiele sind die Jungfraubahn oder das Matterhorn. Diese einzigartigen Ausflugsziele verzeichnen weiterhin Wachstumsraten. Was die Schweiz gut macht ist, dass sie stabil hohe Preise durchsetzen kann. Und für mich wirklich einzigartig in der Schweiz ist der öffentliche Verkehr. Von den internationalen Flughäfen bis ins hinterste Tal sind wir in Sachen öffentlicher Verkehr bestens organisiert. Das ist ein großes touristisches Plus.“

 

Wenn Sie nach Tirol blicken: Was macht das Herz der Alpen besonders gut?

Roland Zegg: „Tirol verkauft sich konstant und konsequent gut als Marke und authentischer Gastgeber. Tirol ist wahrscheinlich eine der stärksten Marken im alpinen Raum. Was mir auffällt ist, dass sich eine Ebene darunter die Top-Destinationen sehr clever, prägnant und unterschiedlich positioniert haben. Serfaus-Fiss-Ladis ist Familie, Ischgl ist Party, Sölden hochstehend sportlich, Kitzbühel mondän, der Achensee ist Wellness und Natur. Es gibt also eine prägnante Positionierung der einzelnen, die nicht austauschbar ist.“

 

Wie entwickelt sich das Angebot bei den Bergbahnen? Ist größer besser?

Roland Zegg: „Nein, größer ist nicht gleich besser. Bei den Bergbahnen kommt es darauf an, dass sie sehr gut in die Destination eingebettet sind. Das zweite ist, dass Bergbahnen in Zukunft den Winter sichern müssen und den Sommer ausbauen. Und drittens: Es geht auch immer mehr um Themeninszenierungen – vor allem im Sommer. Immer wichtiger wird dabei auch die Gastronomie. Die Bergbahn-Gastronomie muss neue Trends in der Ernährung unbedingt aufgreifen, die man in urbanen Gegenden überall sieht. Das müssen wir auch am Berg anbieten und uns auch auf junge Zielgruppen ausrichten.“

 

Also können Ihrer Meinung nach auch kleinere Skigebiete mit Angeboten punkten?

Roland Zegg: „Die Größe hat irgendwo auch ihre Grenzen. Es gibt viele mittlere Skigebiete, die durchaus erfolgreich sind. Gerade im Sommertourismus ist eine gewisse familiäre Atmosphäre wichtig und spielt für den Gast eine große Rolle. Neben der großen Masse geht es also auch darum, exklusive Nischen zu finden und anzubieten. In Tirol fallen mir hier spontan das Hexenwasser in Söll ein oder die Mutterer Alm. Da punktet man nicht mit Größe, sondern mit einem ganz speziellen Angebot.“

 

Der Alpenraum setzt sich seit vielen Jahren intensiv mit der Angebotsentwicklung der Produkts Sommers auseinander. Was könnte man hier noch besser machen?

Roland Zegg: „Wir dürfen die Perlen des Alpenraumes nicht vor die sprichwörtlichen Säue werfen, nicht den Markt mit billigen Pauschalangeboten überschwemmen. Im Alpenraum geht es darum, exklusive Angebote zu verkaufen. Das sind unsere intakte Natur, die Tatsache, dass wir überall sauberes Wasser und reine Luft haben, das ist der erwiesene positive Gesundheitseinfluss eines Aufenthaltes zwischen 800 und 2000 Höhenmetern. Diese Werte werden noch mehr an Bedeutung gewinnen. Wichtig ist auch der Abenteuerfaktor. Plattformen, Hängebrücken und ähnliches – das sind für mich gute Initiativen, die aber Hand in Hand mit einer Ausrichtung der Destination gehen müssen.  Und da wären wir wieder bei einer konsequenten Ausrichtung. Ich nenne ein Beispiel: Lenzerheide in der Schweiz engagiert sich seit Jahren im Sommer und Winter mit hochwertigen sportlichen Events. Sie inszenieren also für den Gast Sport in seiner schönsten Form. Der Erfolg gibt ihnen Recht.“

 

Kann eine Angebotsentwicklung auch durch Zufall entstehen?

Roland Zegg: „Ich persönlich glaube nicht daran. Es gibt immer eine Strategie, auch wenn sie nicht unbedingt schriftlich festgehalten wurde. Betrachtet man die Geschichte des alpinen Tourismus von seinen Pionieren an, dann war das kein Zufall. Es gab immer Menschen, die Antworten auf die Erwartungshaltungen von Gästen gefunden und dann die gesamte Servicekette danach ausgerichtet haben. Hält man dann in einer Region auch noch die Qualität der einzelnen Unternehmen auf dem gleichen Serviceniveau, dann funktioniert es.“

 

 

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